SECURING EVIDENCE

SECURING EVIDENCE

Nach dem Mauerfall war die Spandauer Vorstadt mit dem besetzten Kunsthaus Tacheles ein magisches Epizentrum für viele nach einer gesellschaftlichen Erneuerung Suchenden; Aussteiger, Künstler, Visionäre und Hedonisten.

In der Mitte Berlins traf die euphorische Aufbruchstimmung der friedlichen Revolution auf die morbide Untergangsstimmung der Subkulturen.

Der schmale Grad zwischen künstlerischer Lebensführung, kommerziellem Erfolg und Touristenattraktion wurde täglich aufs neue vermessen – man träumte für eine kurze Zeit von einer konkret werdenden Utopie.

Doch der Traum war schnell ausgeträumt – mit rasender Geschwindigkeit verdammte der sozioökonomische Strukturwandel das einst so anarchische Chaos zur wohl kalkulierten Performance.

Nach Abschluss der Bauarbeiten wird das Areal am Tacheles Ende 2022/23 von seinen neuen Eigentümern und Mietern übernommen – auf der einstigen Freifläche, die viele Jahre als Ikone die verstörenden Visionen und Träume der Nachwendezeit wiederspiegelte, wird nun der Sieg des Kapitals gefeiert - die Gentrifizierung eines ganzen Stadtviertels nähert sich seinem Ende.

Die Projektdatenbank «Fragments of Yesterday – Places of memory in virtual space» erzählt von den Visionen und Verwerfungen jener Nachwendejahre die nicht nur eine ganze Generation von Kunst- und Kulturschaffenden massgeblich prägte sondern auch wie eine postapokalyptische Plastik gesellschaftliche Entwicklungen und soziale Misstände aufzeigte. Die verschlungene Geschichte von Raum, Zeit, Ereignis, Mensch und Kunst in seiner ganzen Bandbreite soll anhand von Objekten, Texten, Dokumenten, Oral History, Fotos, Videos und anderen Medien individuell erfahrbar gemacht werden ohne in gängige Erinnerungsstereotypen zu verfallen. Das in diesem Zusammenhang entstehende virtuelle Archiv bewahrt die Archivalien nicht physisch auf sondern verwaltet Informationen (Metadaten) und digitale Referenzkopien (Scans etc.) die auf die jeweiligen Originale und deren Besitzer verweisen. Dies ermöglicht die virtuelle Verschmelzung von hetrogenen Quellen zur Erzeugung neuer Kontexte und Verknüpfungen.


“Der Vorwurf unpolitisch zu sein geht offenbar an dieser Kunst vorbei, da sie das Politische auf übergreifende Formen des Zusammenseins ausweitet. Aber ist es überhaupt “Kunst”? Diese zerbröselnden Dinge tragen den Zweifel am fertigen “Werk” und seinem Anspruch schon in sich. Sie sind miserabel, vergänglich, banal: Spuren und nicht mehr. Sie illustrieren eine gewisse Vergeblichkeit des eigenen Tuns, aber gerade diese Armseligkeit macht aufmerksam. Weniges kann viel bewirken ... zumal wir an dem Punkt stehen, da sich fast alle gewohnten Zusammenhänge auflösen, seien sie familiärer, sozialer, geistiger Natur.“

Günter Metken 1974


Förderung: Recherchestipendium der Senatsverwaltung für Kultur und Europa 2015 & 2020/21